Wir stellen vor: Ukrainisch-Dolmetscherin Kateryna Bondareva

In unserer Serie „Wir stellen vor“, wollen wir unseren Dolmetscherinnen und Dolmetschern ein Gesicht geben. Diesen Monat haben wir mit einer unserer Ukrainisch- und Russisch-Dolmetscherinnen über ihren Arbeitsalltag bei SAVD, die Besonderheiten bei ihren Sprachenpaaren und die ukrainische Sprache gesprochen.

Aufgrund des Krieges in der Ukraine, kam häufig die Frage auf, wie ähnlich sich Ukrainisch und Russisch sind. Was ist deine Antwort?

Beide Sprachen gehören zur slawischen Sprachfamilie und haben daher einige Gemeinsamkeiten. Zugleich gibt es viele signifikante Unterschiede bei Buchstaben, Lauten und Wortschatz. Das Ukrainische hat zwar Gemeinsamkeiten mit dem Russischen, aber mindestens so viele – wenn nicht mehr – Ähnlichkeiten mit dem Polnischen.

Warum glaubst du kommst es zu dem Irrglauben, dass die Sprachen einander so ähnlich sind?

Ich denke das liegt daran, dass die meisten Ukrainer*innen zweisprachig sind: Sie sprechen Russisch oder verstehen es zumindest passiv. In Russland ist es anders: Hier spricht man Russisch, aber kaum jemand versteht Ukrainisch. Daran erkennt man, wie unterschiedlich die Sprachen sind und dass es nicht in beide Richtungen funktioniert. Die Mehrsprachigkeit der Ukraine hängt mit der Geschichte des Landes zusammen, weshalb viele Ukrainer*innen heute Russisch beherrschen, auch wenn viele es sich nicht unbedingt so gewünscht haben.

Mit welchem Sprachgebrauch bist du aufgewachsen?

Wir haben zu Hause Russisch gesprochen, somit war Ukrainisch für mich hauptsächlich Bildungssprache. Da ich in der Übergangszeit zwischen der Sowjetunion und der unabhängigen Ukraine aufgewachsen, war aber auch der Sprachgebrauch im Unterricht etwas chaotisch: Offiziell war alles auf Ukrainisch, praktisch haben aber viele Lehrer*innen auf Russisch unterrichtet, da sie Ukrainisch nicht ausreichend beherrschten.

Wie spiegelt sich die Mehrsprachigkeit in der Medien- und Kulturlandschaft wider?

Früher wurde viel auf Russisch publiziert, weil man dadurch einen größeren Markt – den gesamten postsowjetischen Raum – bediente.  Viele ukrainische Musiker*innen singen nun aber sowohl auf Russisch als auch auf Ukrainisch. Das hängt vermutlich damit zusammen, welche Erstsprache die Künstler*innen haben und in welcher Sprache sie sich wohler fühlen. Ich denke, dass das derzeit im Wandel ist und viele das Gefühl haben, sich jetzt für eine Sprache entscheiden zu müssen.

Wie geht es dir als russischsprachige Ukrainerin damit?

Ich fühle mich ähnlich. Ich habe in der Ukraine im Alltag abgesehen von Uni und Schule kaum Ukrainisch gesprochen, bin aber seit einigen Jahren und besonders in den letzten Monaten sehr motiviert, an meinem Ukrainisch zu arbeiten.

Wie siehst du die Mehrsprachigkeit in der Ukraine?

Die Sprachenfrage wird seit Jahrzehnten politisiert. Mein ganzes Leben lang, standen die beiden Sprachen für mich problemlos nebeneinander und es war völlig normal, dass eine Person auf Ukrainisch spricht und ihr Gegenüber auf Russisch antwortet. Das passiert häufig unbewusst. Ich merke, dass gerade jetzt viele Menschen gerne besser Ukrainisch beherrschen würden. Es gibt zahlreiche Statistiken darüber, wie viele Menschen in der Ukraine Russisch oder Ukrainisch als Erstsprache sprechen. Die Ergebnisse variieren und es scheitert oft daran, dass sich die Menschen selbst nicht entscheiden können. Viele Menschen haben Russisch etwa als Erstsprache, stehen politisch, aber klar hinter dem Ukrainischen. Auch mein Vater, den ich nie Ukrainisch sprechen gehört habe, hat sich immer klar für Ukrainisch als alleinige Staatssprache ausgesprochen.

Wie gehst du damit in Dolmetschungen um?

Ich habe mittlerweile folgende Strategie: Wenn ich für Ukrainisch angerufen werde, beginne ich das Gespräch auf Ukrainisch. Sobald ich merke, dass man mir auf Russisch antwortet, wechsle ich ins Russische. Umgekehrt gilt das aber genauso.

Was fällt dir bei Ukrainisch-Dolmetschungen auf?

Menschen, die aus der Ukraine kommen, sind keine homogene Gruppe. In den letzten Monaten ist mir das besonders stark bewusst geworden: Ich dolmetschte unlängst etwa für eine jüdisch orthodoxe Familie, deren Ukrainisch anders klingt als das Ukrainisch ethnischer Russ*innen, Roma oder Tartar*innen. Das Ukrainisch aus ländlichen Gebieten im Westen ist nicht dasselbe Ukrainisch, wie das in Lwiw oder Kyiw. Die Sprache unterscheidet sich dabei nicht nur im Wortschatz sondern in einigen Fällen auch in Grammatik und Satzbildung.

Wie arbeitest du an deinem Ukrainisch?

Mit dem Ukrainisch, das man im Westen spricht, hatte ich in meinem Alltag in der Ukraine kaum zu tun. Sehr hilfreich waren Bücher des westukrainischen Schriftstellers Jurij Wyn­nyt­schuk. Die ukrainische Sprache dort enthält einige deutsche und polnische Entlehnungen, was für mich sehr ungewöhnlich war. In den letzten Jahren habe ich auch viele ukrainische Podcast gehört. Es ist aber nicht so leicht ukrainischsprachige Sendungen zu finden, die ich interessant finde und mich auch sprachlich weiterbringen. Viele Sendungen beginnen nämlich auf Ukrainisch und die Gesprächsteilnehmenden sprechen dann doch zumindest teilweise Russisch.

Credits: https://youtu.be/–Wokwe4-i0

Was empfiehlst du Menschen, die mehr über die ukrainische Kultur erfahren wollen?

Den Roman “Im Schat­ten der Mohn­blüte“ von Jurij Wyn­nyt­schuk und das Sachbuch „Die reale und die imaginierte Ukraine“ von Mykola Rjabtschuk. Mir gefallen außerdem die Bands Okean Elzy, Sergiy Babkin (5niцца), Antytila, Kazka und Skai.

Du hast bis März 2022 vor allem Russisch gedolmetscht. Was fällt dir beim Sprachenpaar Russisch- Deutsch auf?

Das besondere bei den Dolmetschungen mit dem Sprachenpaar Russisch-Deutsch ist, dass man meist nicht für Menschen dolmetscht, deren Erstsprache Russisch ist. Das hängt damit zusammen, dass Russisch in der Sowjetunion die gemeinsame Sprache vieler Länder war. Da ich als Dolmetscherin nicht nur die Sprache beherrschen, sondern auch eine gewisse Kulturkompetenz haben muss, ist das eine Herausforderung. Bei Dolmetschungen für Menschen aus der Ukraine oder Russland fühle ich mich sicher. Über Georgien, Aserbaidschan, Tschetschenien, Armenien, Usbekistan oder Kasachstan weiß ich jedoch deutlich weniger.

Was ist für dich das Besondere am Videodolmetschen?

Total aufregend finde ich nach wie vor, dass man nie weiß, wo man heute „zu Besuch sein wird“. Manchmal kommt es mir vor wie Teleportieren in Science-Fiction-Romanen. Als Videodolmetscher*innen wechseln wir ständig den Schauplatz, aber im Gegensatz zum Teleportieren, bestimme ich nicht selbst, wohin die Reise geht. Die Unvorhersehbarkeit erinnert mich oft die amerikanische Serie „Sliders“ aus den Neunzigern. Jede Serie beginnt mit dem Ankommen in einer neuen Welt, in der sich die Menschen erst zurechtfinden müssen. Sie haben keine Ahnung, wo sie sind, welche Regeln gelten und wie das System funktioniert. Das empfinde ich manchmal auch beim Videodolmetschen so. Ich weiß beim Abheben nicht, was mich erwartet: Sind es nur zwei Gesprächsparteien oder blickt man plötzlich auf einen langen Tisch mit mehreren Gesprächsteilnehmenden im Rahmen einer Haft-Vollzugsplanung oder bei einem Konsilium in Krankenanstalten. Das ist auf jeden Fall das Herausfordernde an unserem Job: Innerhalb weniger Stunden ist man oft an zehn verschiedenen Orten. Ich mache mir jedenfalls keine Sorgen mal Alzheimer zu bekommen, denn das ist schon eine besondere Form von Gehirnjogging [lacht].

Welche Gespräche sind dir zuletzt positiv in Erinnerung geblieben?

Gespräche für die Bildungsdirektion sind besonders schön, da die Direktor*innen, den Menschen das Gefühl geben, dass sie hier willkommen sind. Bei einem Gespräch brachte ein Schuldirektor gegenüber einer Begleitperson seine Begeisterung voll zum Ausdruck: „Schauen Sie, wie toll das funktioniert und das wird von EU-Fonds bezahlt“. Da war ich schon sehr stolz, denn ohne uns gibt es oft keine Möglichkeit, dass sich die Menschen verständigen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Judith Moser, 19.05.2022)

Kateryna Bondareva ist in Tscherkassy in der Ukraine geboren und hat dort Angewandte Linguistik mit Schwerpunkt Übersetzen studiert. Ihre Arbeitssprachen waren Ukrainisch, Englisch, Deutsch und Französisch. 2010 ist sie für das Masterstudium Konferenzdolmetschen (Deutsch, Englisch, Russisch) nach Wien gezogen. Sie ist seit 2018 für SAVD tätig und arbeitet darüber hinaus als Tour Guide beim Sitz der Vereinten Nationen in Wien. In ihrer Freizeit liest sie gerne Science-Fiction-Romane.