Wir stellen vor: Russisch-Dolmetscherin Svetlana Manakhova

In unserer Serie „Wir stellen vor“ wollen wir unseren Dolmetscherinnen und Dolmetschern ein Gesicht geben. Dieses Mal haben wir mit einer unserer Russisch-Dolmetscherinnen über ihren Arbeitsalltag bei SAVD gesprochen.

Wie lange dolmetscht du bereits für SAVD und wie bist du zu SAVD gekommen?

Als Dolmetscherin bin ich dort seit 2016, anfangs nur als Freiberuflerin, aber von dem Unternehmen hatte ich schon früher im Laufe meines Studiums am Zentrum für Translationswissenschaft der Uni Wien gehört. Ich war gleich von der Idee angetan, dass Dolmetschungen übers Telefon und über Video gemacht werden können. Gleichzeitig war ich auch skeptisch ob technisch alles so weit gut ist, sodass meine Dolmetschleistung nicht darunter leidet. Als mir dann eine Studienkollegin vorgeschlagen hat, bei SAVD einzusteigen, habe ich mich gleich gefreut und mir gedacht: Jetzt kann ich das direkt in der Praxis selbst herausfinden.

Du hast erzählt, dass du Translationswissenschaften studiert hast. Was ist dein sprachlicher und kultureller Hintergrund und wie kam es dazu, dass du dich für dieses Studium entschieden hast?

Ich komme aus einer gewöhnlichen russischen Familie, in der nur Russisch gesprochen wurde, obwohl mein Vater zur Hälfte Ukrainer ist. Er hat die ukrainische Sprache sehr geliebt und hat mir auch manchmal Gedichte auf Ukrainisch vorgelesen. Mein Interesse für Sprachen habe ich entwickelt als mein Vater einen Job im Ausland bekommen hat, unter anderem in China, wo ich ihn dann besucht habe. Ich war gerade elf Jahre alt und sehr fasziniert und habe danach beschlossen, dass ich etwas mit Kommunikation mit Menschen machen möchte. Nach der Schule habe ich deshalb ein Studium in Moskau aufgenommen, damals für die englische Sprache und Linguistik.

Was hat dich nach Wien verschlagen?

Nach dem Studium in Moskau habe ich festgestellt, dass eine Fremdsprache nicht ausreicht, um als Dolmetscherin zu arbeiten. Da es besser ist, eine Sprache in dem Land zu lernen, in dem sie gesprochen wird, mir aber Deutschland zu „mainstream“ war, habe ich mich für Österreich entschieden. Auch meiner Mutter hat diese Idee sehr gut gefallen. Sie ist Musikerin und da Österreich ein Musikland ist, wurde das dann von ihr abgesegnet.

Kannst du dich noch an deine erste Dolmetschung erinnern?

Ja, sehr gut sogar. Während meines ersten Studienjahrs für Englisch in Russland war ich auf eine Party eingeladen. Dort habe ich für einen jungen Amerikaner gedolmetscht, der kein Russisch konnte und es gab sonst niemanden, der Englisch verstanden hat. Aber meine Leistung war überhaupt nicht gut. Bei der Hälfte der Aussagen habe ich versagt, weil er viel Slang benutzte, den ich nicht verstanden habe. Um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein, habe ich angefangen mehr Serien auf Englisch zu schauen, um meinen klassischen Wortschatz zu erweitern.

Ein großer Unterschied zum Arbeitsalltag, den du nun bei SAVD hast. Wie würdest du diesen beschreiben?

Jeder Tag ist sehr abwechslungsreich. Ich kann mich im Vorherein nicht auf bestimmte Themen einstellen. Deshalb gibt es immer wieder Überraschungen.

Einerseits ist es eine Herausforderung, andererseits freue ich mich sehr darauf, dass ich immer wieder etwas nachschauen muss und dass ich motiviert werde, mich in neue Themen einzulesen. Auch der Umgang mit vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen und sozialen Schichten gefällt mir.

Was sind weitere Herausforderungen bzw. Dinge, die dir Freude bereiten?

Eine weitere Herausforderung ist die unterschiedliche Herangehensweise von Menschen aus den unterschiedlichen Kulturen. Mir fällt da eine Dolmetschsituation während eines Diagnostikgesprächs im Krankenhaus ein. Russischsprachige Menschen kommen oft gut vorbereitet zum Arzt. Sie belesen sich gründlich im Internet und haben die Einstellung, dass sie mit dem Arzt mitreden müssen. Wenn die Behandlung besprochen wird, führt das dann zu einer Diskussion. Für deutschsprachige Menschen ist das ein wenig ungewöhnlich. Die denken oft es sei ein Ausdruck des Misstrauens. Da muss man als Dolmetscherin genau mit der Wortwahl sein.

Was gefällt dir am besten an deiner Tätigkeit bei SAVD?

Die Vielfalt an Gesprächssituationen, der ich sonst im normalen Leben nie begegnen würde. Zum Beispiel in Gefängnissen. Eine besondere Freude beim Kommunaldolmetschen ist für mich, dass ich am Ende des Tages meinen Arbeitsplatz mit dem Gefühl verlasse, Menschen wirklich geholfen zu haben: Ein Insasse im Gefängnis bekommt jetzt die richtige Behandlung, das Kind in der Schule wird nach seinen Bedürfnissen unterstützt oder eine Familie bekommt endlich die Leistung vom Jobcenter. Das ist mir eine große Freude.

Du hast schon einige Themen und Situationen genannt, in denen du dolmetscht. Welche weiteren Themen begegnen dir regelmäßig?

Unter anderem führe ich viele Gespräche mit dem Jobcenter, also der Arbeitsagentur in Deutschland. Das Hauptthema dort sind Deutschkurse und die Arbeitssuche. Neben Aufklärungsgesprächen vor Operationen oder Behandlungen gibt es auch noch Gespräche in Schulen oder Kindergärten. Es geht um den Schulalltag, um das Verhalten des Kindes und um die Zusammenarbeit mit der Familie. Gespräche für Jugendämter, Kinderschutzeinrichtungen und Frauenhäuser kommen auch vor.

Du hast gerade angesprochen, dass Gespräche beim Jobcenter häufiger vorkommen. Würdest du sagen, dass sich deine Tätigkeit seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine gewandelt hat und wenn ja, wie?

Beim Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine habe ich mir folgende persönliche Frage gestellt: Darf ich als Russin in der politischen Situation, in der wir uns gerade befinden, meine Hilfe den Geflüchteten aus der Ukraine überhaupt anbieten? Am Anfang war ich mir nicht sicher und habe jedes Gespräch mit der Frage begonnen, ob das Gegenüber etwas dagegen haben, Russisch zu sprechen. Aber mittlerweile bin ich nach vielen Gesprächen mit den Kunden aus der Ukraine überzeugt, dass es der beste Beitrag ist, den ich leisten kann.

Gibt es typische Redewendungen, Sprichwörter oder Witze, die dir beim Sprachenpaar Russisch-Deutsch öfter begegnen?

Ja, ein Beispiel dafür ist eine Dolmetschung, die ich einmal mit einem russisch-sprachigen Georgier hatte. Dabei hat dieser die ganze Zeit in Reimen gesprochen. Unter anderem hat er auch eine spezielle Redewendung verwendet, nämlich „У матросов нет вопросов“ – „U matrosov net voprosov“, was übersetzt heißt „Die Matrosen haben keine Fragen (mehr)“. Das meint so viel wie „Ich habe es verstanden“ und das Thema kann abgeschlossenen werden.  Ich habe darüber nachgedacht, ob es so etwas ähnliches auch im Deutschen gibt. Nach einem Gespräch mit Kollegen habe ich letztlich ein ungefähres Äquivalent gefunden. Sowas kommt öfter vor und leider kann ich nicht während des Dolmetschens eine Alternative recherchieren. Ich erkläre dann die ungefähre Bedeutung der Aussage.

Was meinst du ist besonders schwierig für russischsprachige Menschen, wenn sie in deutschsprachige Länder kommen?

Die „generelle Ordnung“ und dass z.B. im Jobcenter vor allem auf Gesetze und Regeln geschaut wird und nicht auf die jeweilige persönliche Situation des Klienten. In Russland fühlt es sich dagegen so an, es irgendwie besprechen zu können. Dort kann mit genügend Geduld aus einem „Nein“ manchmal ein „Ja“ werden. Diesen Ansatz versuchen die russischsprachigen Menschen auch beim Jobcenter in Deutschland und verstehen nicht, dass gewisse Dinge im Gesetz verankert sind und somit der:die Mitarbeiter:in nicht das Recht hat, dies anders zu interpretieren.

In Russland würde das funktionieren?

Auch nicht immer, aber man lässt eben nichts unversucht. (lacht)

Was würdest du Menschen empfehlen, die sich für die russische Kultur und Sprache interessieren? Zum Beispiel Literatur, Musik oder ähnliches.

Ich mag sehr gerne Bands wie Splin, B2 und Zemfira. Vor einigen Jahren habe ich zudem eine russische Schriftstellerin entdeckt, die ich sehr mag. Sie heißt Gusel Jachina und es gibt ein Buch von ihr, welches schon ins Deutsche übersetzt wurde. “Suleika öffnet die Augen“ heißt es. Sie schreibt viel über die Anfangszeiten der Sowjetunion und über die Repressionen, die Lager und die Schicksale der Menschen, die darunter gelitten haben. Mein Urgroßvater war selbst in einem Konzentrationslager, deshalb gehen mir und meiner Familie diese Themen nah. Als Künstler mag ich Andrei Popov.

Alle diese Menschen repräsentieren für mich Teile der russischen Kultur, durch die ein guter Einblick gewonnen werden kann. Das ist hilfreich beim Erlernen der Sprache.

Gibt es etwas aus Russland, das es in Österreich nicht gibt und du vermisst?

Ja! Also abgesehen von Familienmitgliedern vermisse ich sehr die Datscha. Das ist ein kleines Häuschen auf einem Grundstück am Land, meistens noch mit einem Gemüsegarten, welches wirklich sehr viele Menschen in Russland haben. Unsere Datscha ist in der Nähe der Wolga. Dort zu sein und auch im Fluss baden zu gehen, fehlt mir wirklich.

Außerdem vermisse ich den Borschtsch meiner Oma und die Palatschinken meiner Mutter.

Was machst du denn hier in deiner Freizeit, wenn du keine Datscha hast, und wenn du nicht dolmetscht?

Ich gehe sehr gerne wandern in der Natur, in der Hinsicht bin ich eine Österreicherin geworden. Zudem lerne ich gerade eine weitere Fremdsprache, nämlich Hebräisch. Da gibt es auch eine neue Kultur, die ich entdecken kann. Deshalb schaue ich mir israelische Filme und Serien an und gehe zu Veranstaltungen im Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung, bei denen ich die Möglichkeit habe, Hebräisch zu sprechen.

Letzte Frage: Was hast du bei SAVD gelernt, was du jetzt auch im Alltag anwenden kannst?

Ich denke viel mehr darüber nach, was ich sagen soll und wie ich das sagen soll. Und natürlich mache ich mir sehr viele Notizen. 😉

Vielen Dank für das Gespräch!

(Jennifer Juros, 02.06.2023)

Svetlana Manakhova stammt aus einer russischen Familie und hat am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien studiert. Sie ist seit 2016 als Dolmetscherin für SAVD im Sprachpaar Deutsch-Russisch tätig. In ihrer Freizeit verbringt sie gerne Zeit in der Natur oder erlernt neue Sprachen.